MFG - Ein Grund zur Freude?
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Ein Grund zur Freude?

Text Sascha Harold
Ausgabe 09/2017

Im Juni beschloss die Bundesregierung mit den Stimmen der Grünen eine Bildungsreform, die den Schulen vor allem mehr Autonomie bringen soll. Wie viel davon in den Klassenzimmern ankommen wird, steht derzeit noch in den Sternen. In Niederösterreich sprechen Kritiker der Reform bereits von einer „Mogelpackung“.

Nur mit einer gestärkten Autonomie der Schulen sowie einer Entpolitisierung der Verwaltung können wir den dringend benötigten Schwung ins Bildungssystem bringen, von dem letztlich alle Schülerinnen und Schüler profitieren werden. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf sind wir diesem Ziel einen wichtigen Schritt nähergekommen.“ Das verlautete Bildungsministerin Sonja Hammerschmied im Beisein von Staatssekretär Harald Mahrer vor dem Sommer. Die Regierung hatte sich mit den Stimmen der Grünen auf ein Reformpaket geeinigt, das den Schulen vor allem mehr Autonomie bringen soll und dabei die Rolle der Schulleiter erweitert (siehe unten).

Reform nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Wie viel von diesen Maßnahmen an den Schulen ankommen wird, ist derzeit noch unklar.
Sigrid Zöchling, Direktorin des Schulzentrums Eybnerstraße, gibt sich deshalb noch zurückhaltend: „Es gibt sicher Einiges, das gut ist, aber ich bin gespannt, ob die Reform kommt und was genau kommt.“ Einige der beworbenen Neuerungen seien dagegen bei näherem Hinsehen nicht revolutionär. „Das Mitspracherecht für Direktorinnen war über die Zusammenarbeit mit dem Landesschulrat faktisch gegeben“, meint Zöchling. Schon jetzt konnten Schulen demnach Personalentscheidungen in Absprache mit dem Landesschulrat treffen.
Ähnlich sieht das auch Michael Lahnsteiner, Direktor der Volksschulen Pottenbrunn und Ratzersdorf. „Es ist grundsätzlich erfreulich, dass ich beim Personal mehr Mitspracherecht bekomme, aber ich konnte schon jetzt beim Landesschulrat sagen, wenn mir bestimmte Lehrer gefehlt haben“, so Lahnsteiner, der außerdem betont, dass er in erster Linie Lehrer und kein Personalchef sei. Die Autonomie ist zudem zweischneidig. Denn auswählen kann ein Schulleiter nur, wenn genügend Bewerbungen für eine zu besetzende Stelle eingehen – hier ist zu befürchten, dass sich Bewerbungen engagierter Lehrer auf Schulstandorte mit „gutem“ Ruf konzentrieren. Die ausgleichende Wirkung, die der Landesschulrat bisher hatte, geht damit ein Stück weit verloren. Wie sich die Reform in der Praxis auswirken wird, ist für Lahnsteiner noch nicht klar: „Ich werde mein Schuljahr beginnen wie immer und dann schauen was kommt.“

Evolutionäre statt revolutionäre Entwicklung
Ebenfalls abwarten will Attila Pausits, Leiter des Zentrums für Bildungsmanagement und Hochschulentwicklung an der Donau-Universität Krems. „Ich denke eine Dezentralisierung ist grundsätzlich zu begrüßen, um so mehr Spielraum für Einzelne zu bekommen. Gleichzeitig gehen mit der Autonomie aber Verpflichtungen einher, die Schulleiter müssen in diese Führungsrolle hineinwachsen.“
Die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen reicht dabei nicht. In der Reform sieht er „keine revolutionäre, sondern eine evolutionäre Entwicklung.“ Mögliche Änderungen am Curriculum der Ausbildung stehen erst zur Debatte, wenn klar ist, was von der Reform im Klassenzimmer ankommt. Die ermöglichte Cluster-Bildung sieht Pausits nicht nur positiv: „Es besteht die Gefahr, dass durch die Zusammenlegung von Schulen der administrative Aufwand für die Schulleiter so groß wird, dass dadurch der gestalterische Aspekt erdrückt wird.“ Die Rolle der Donau Universität besteht jedenfalls weiterhin in der praxisnahen Weiterbildung, ein Thema wird künftig auch die Forschungsarbeit zu den Auswirkungen der beschlossenen Neuerungen im Schulsystem sein.

„Diese Reform ist eine Mogelpackung.“
Dass die Reform überhaupt große Auswirkungen haben wird ist für Peter Böhm, Dienstrechtsreferent der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer, ohnehin fraglich. Böhm war bei fast allen Verhandlungen mit am Tisch und kennt die Materie, In der beschlossenen Reform sieht er eine „Mogelpackung“, die mit Autonomie nicht viel zu tun hat. Viele der beschlossenen Neuerungen wären rechtlich bereits jetzt möglich gewesen, er nennt hier etwa die unterschiedliche Länge von Schulstunden oder die Bildung von Schulclustern. „Am Papier hat der Schulleiter viel Autonomie, in der Praxis wird sich nicht viel ändern“, mein Böhm und denkt weiter, dass „Schüler und Lehrer von der Reform fast nichts merken werden, die Leiter werden punktuell etwas merken.“ Dass die Autonomie nicht wirklich umgesetzt ist, liegt für ihn auch daran, dass die Bildungsdirektionen in vielen Fällen das letzte Wort hätten und Entscheidungen der Schulleiter bestätigen müssen. Hätte man in den Verhandlungen Spezialisten vor Ort hinzugezogen, wäre eine bessere Reform zustande gekommen, ist er überzeugt. Die Lehrergewerkschaft habe auf diesen Umstand laut Böhm hingewiesen: „Wir haben mehrmals gesagt, dass der vorliegende Entwurf am grünen Tisch von Juristen gemacht worden ist, die das Umfeld vor Ort nicht kennen.“
2018 soll die Schulreform in Kraft treten, bis dahin hat das Land Niederösterreich Zeit, entsprechende Gesetze zu verabschieden. Bei den betroffenen Akteuren herrscht derzeit vor allem Unklarheit – ob sie sich legt, bleibt abzuwarten.


Die Schulreform im Überblick
Herzstück der Reform ist ein Autonomiepaket das die Schulstandorte stärkt und den Schulleitern ermöglicht, Personal frei auszuwählen. Lehrer können sich künftig direkt an einem Schulstandort bewerben, die Position des jetzigen Landesschulrates wird damit formell abgeschwächt. Aufgehoben werden verschiedene Regeln für Klassen- und Gruppengrößen, auch die Dauer einer Schulstunde kann frei gewählt werden, die 50-Minuten Einheit bleibt aber weiter die zugrunde liegende Berechnungsgröße. Weiters soll es möglich sein, sogenannte Schul-Cluster zu bilden, die von einem Schulleiter gemeinsam verwaltet werden. Die Landesschulräte sollen künftig durch sogenannte Bildungsdirektionen ersetzt werden In Kraft treten mögliche Änderungen und Reformen in Niederösterreich erst durch sogenannte Landesausführungsgesetze, von denen es derzeit noch keine Entwürfe gibt.